Gips, Bass und Einrad
Es kann einfach nicht stimmen, worüber die Musikszene schon seit einer gefühlten Ewigkeit lacht. Demnach sei der Unterschied zwischen Pop- und Jazzmusikern jener, dass Erstere vor tausenden Leuten drei Akkorde spielen, Letztere tausende Akkorde vor drei Leuten. Zumindest bei Julia Hofer ist das schlicht nicht wahr. Der Bassistin hörten auch mitten in der Pandemie Hunderttausende zu. 740.000 waren es, als sie gemeinsam mit dem Schlagzeuger Patrick Metzger ihre zehn Lieblingsgrooves von Michael Jackson vorstellte. Also Zugriffe auf Youtube, wenn wir genau sind.
Auf Instagram folgen ihr 31.400 Personen. Auf dem Youtube-Kanal für ein großes deutsches Musikhaus, auf dem sie regelmäßig Equipment oder die ihrer Meinung nach besten Basslinien vorstellt, sind es 227.000. Das Video, bei dem sie auf einem Einrad fahrend Bass spielt, wird seit Jahren immer wieder aufs Neue in den sozialen Medien geteilt.
Bass spielen auf dem Einrad
“Meine Güte, das Einradvideo”, sagt Julia Hofer, “ich dachte, das sei lang vergessen.” Das Video wurde in nur einem Take aufgenommen. “Wenn ich mir das heute anhöre – wir hätten unbedingt einen zweiten Take machen müssen. Keine Ahnung, warum wir das nicht gemacht haben – es war furchtbar gespielt.”
Und damit relativiert sich die Eingangsbehauptung auch schon ein wenig. Julia Hofer ist keine reine Jazzerin. Sie ist nicht einmal nur Bassistin. Sie ist ebenso erfolgreiche Turnerin und auch abseits des Jazz vielsaitig (sic!) aufgestellt.
Vor 27 Jahren in Kärnten geboren, wuchs sie in einer musikalischen Familie auf. Ihre Mutter ist Geigenlehrerin, ihr Vater Trompeter, der Opa leitete die Blasmusik. “Wir hatten sehr viele Musikinstrumente zu Hause, und es war nie die Frage, ob ich je Musik machen würde, sondern nur, welches Instrument ich spielen werde.”
Sportakrobatik
Mit acht Jahren begann sie Violoncello zu lernen. Nebenbei war sie in der Sportakrobatik sehr erfolgreich. Aber “Musik war immer da, ein Teil meines Lebens”. Und bis sie 16 Jahre alt war, gab es für sie nur Klassik – “ich mag die Romantik heute noch sehr gerne” – und natürlich die Volksmusik. Das mit dem Jazz kam erst etwas später. “Fusion, nicht Jazz, wäre der richtige Begriff”, sagt sie.
“Mein Papa hat im Auto unter anderem Count Basic gehört. Und Luther Vandross. Auch Big Bands.” Doch halt. Count Basic? Was für ein Zufall.
Es ist Mitte Mai, als wir Julia Hofer im Tusita-Studio in Wien treffen. Es ist das Studio von Max Legat, das er gemeinsam mit seinem Vater Peter, dem Mastermind von Count Basic, aufgebaut hat. Auch Max arbeitet gerade an einem Video seiner Band Mashiko. Er sitzt anderen Ende des Studios, am Computer. Funkiger Soul ist zu hören.
Der Funk war es auch, der Julia mit 16 Jahren so zu begeistern anfing, dass sie ein zweites Instrument lernen wollte. Schlagzeug. Das hat ihr der Vater aber ausreden und sie auf den Bass bringen können. Sein Argument: Der Bass habe wie das Violoncello vier Saiten. Die sind zwar anders gestimmt, aber irgendwie dürfte das doch noch besser als ein Schlagzeug sein.
Julia hat gleich einmal mit The Chicken angefangen – in der Version vom vermutlich besten Bassisten aller Zeiten, Jaco Pastorius. “Monatelang habe ich fast nur das gespielt – und es wurde nie langweilig.” Für Nichtbassisten: Das Stück eignet sich wunderbar, um sich in Sekunden gleich mehrere Finger zu brechen. Was uns auf eine andere Geschichte bringt.
Jene, in der Julia Hofer mit einer Gipshand auftritt und das andere Mal mit dem dicken Ärmel im Studio aufnimmt. “Mit 22 hatte ich auf der Uni total viele Kurse und bin mit dem Scooter von A nach B gefahren, damit ich überall rechtzeitig hinkomme. Da hat es mich einmal aufgelegt”, erinnert sie sich.
Vom Spielen ließ sie sich durch den Gips nicht abhalten. Wie auch nicht von den dicken Blasen, die sie jetzt gerade an den Fingern hat. “Ich hab gestern wieder am Kontrabass geübt. Das mache ich nicht so oft, und das ist der Preis dafür.” Nur wenn es gar zu sehr schmerzt, pickt sie sich die Blasen ab – und spielt weiter.
Das Üben hat sich übrigens ausgezahlt, wissen wir heute. Sie hat eine Probestelle bei den Vereinigten Bühnen Wien bekommen und wird ab Herbst im Ronacher und im Raimund-Theater spielen.
Theater, TV und Uni
Mehr noch, sie hat auch das Hearing an der Gustav-Mahler-Privatuniversität für Musik in Klagenfurt gewonnen. Und das, obwohl sie gerade in Mannheim ist, wo sie ihr eines Masterstudium finalisiert, nebenher einen Master an der Universität für Musik und darstellende Kunst in Wien fertig macht und bei der Fußball-EM fürs deutsche Fernsehen in der Showband spielte.
“Ich konnte während der Lockdowns viel weiterbringen, weil ich nicht mehr so oft nach Deutschland reisen musste, da viele Kurse online stattgefunden haben”, erzählt sie. Davor saß sie für Kurse regelmäßig stundenlang im Bus nach Mannheim oder im Zug nach Köln. Fliegen kam für sie schon deswegen nicht infrage, weil sie ihre Instrumente immer bei sich haben will. Doch nun ging es manchmal nicht mehr anders. Raus aus dem Fernsehstudio, rein in den Flieger, schnell zum Vorspielen und dann wieder zurück. Also doch mit dem Bass fliegen?
“Nein, der Willi hat mir einen seiner Bässe geborgt, und ich hatte dort und da ein komplettes Set stehen.” Der Willi, das ist Willi Langer, der heimische Jaco Pastorius, wenn man so will. Bei ihm studierte Julia Hofer in Wien, und die beiden hören sich immer noch regelmäßig. Auch mit vielen anderen ihrer Lehrer pflegt sie eine Freundschaft – manchmal spielen sie immer noch gemeinsam.
Jetzt geht es erst los
Feste Engagements, auch in Bands, etwa bei Wenzel Beck, abgeschlossene Studien – ist das schon das Ende ihrer Karriere in Online-Videos? “Nein, ganz im Gegenteil. Ich komm grad von Aufnahmen, morgen ist noch ein Drehtag. Wir haben die Frequenz der Videos auf eines pro Woche erhöht – nur jetzt im Sommer machen wir alle zwei Wochen eines.”
In den Videos stellt Julia Hofer inzwischen nicht mehr nur Equipment und Basslinien, die ihr besonders gut gefallen, vor. Nun muss sie auch immer öfter Videos machen, in denen sie die wichtigsten der zigtausenden Fananfragen und Kommentare beantwortet.
Echo kommt mittlerweile auch von den Musikern, deren Basslinien sie vorstellt. Leland Sklar etwa, der den Bass für Toto und Phil Collins zupfte und slapte, Verdine White, Bassist von Earth, Wind & Fire, oder Nathan East – er spielte für Lionel Richie, Whitney Houston, Michael Jackson – teilen und kommentieren ihre Videos in den sozialen Netzwerken. Und Bootsy Collins.
Bootsy ist der Funk-Bassist schlechthin, wurde bei James Brown berühmt. Er hatte die Idee, zu seinem neuen Album eine Videoserie zu machen. Und weil er für diese einen Host brauchte, fragte er via E‑Mail bei Julia an. Die glaubte zuerst natürlich nicht, was sie da las. Und dann?
“Ich habe Ja gesagt. Was willst du denn da drauf sonst sagen?”
derStandard – 07/2021
Fotos: Wolf-Dieter Grabner